De uitspraak van Lyotard kwam weer boven: je bent wat je wordt. ‘Zijn’ beoogt een stand, een stilstand. ‘Zijn’ betekent het einde van alles: het is zo en het blijft zo. Worden is ‘zijn in verandering’. Ik wil niet gekend zijn, ik wil altijd een ander worden. Geen gezicht, geen handen, geen haar, altijd een ander.
De biografie is een moeilijke illusie. Wie kan mij beschrijven als ik nooit ben wie ik ben. ‘Wat ik ben, dat ben ik niet; wat ik niet ben, dat ben ik,’ schreef Sartre.
En wie is de lezer van de biografie, en waarom zou er een biografie gemaakt worden? ‘Grenzen van de ziel zal je zeker niet vinden, hoe ver je ook doordringt en welke weg je ook bewandelt, zo diep is haar grond,’ schreef Parmenides, en voor grond gebruikt hij dan het woord λόγος. Ergens zit dus wel iets, maar zie het maar eens te raken.
De desoriëntatie die een nieuwe vrijheid met zich meebrengt heeft Imre Kertész beschreven in zijn ‘kroniek van een verandering’, Ik, de ander.
Citaten uit deze dissertatie over biografie:
So hat Bourdieu (1990) auf die ‚biographische Illusion’ über die Steuerbarkeit des eigenen Lebens hingewiesen, die so nicht gegeben sei. Bourdieu sieht in der Vorstellung von Biographie als einer kohärenten Erzählung mit einer bedeutungsvollen und gerichteten Abfolge von Ereignissen eine triviale Vorstellung von Existenz.
Individualität entsteht vor allem dort, wo es Menschen gelingt, sich zu verwurzeln und zu verorten.
Lebenserfahrungen prägen eine Biographie ebenso wie soziale Herkunft, Schulbildung, Geschlecht, Hautfarbe und nationale Herkunft. Sie werden im Lauf des Lebens erworben und lagern sich als „biographisches Wissen“ (ebenda) ab, das als Kapital für aktuelle und künftige biographische Konstruktionen gilt. Das Individuum erfährt sich als aus vergangenem Handeln und an zukünftigen Projekten orientiertes Ensemble.
En de belangrijkste:
Nicht die und der Einzelne, sondern das Interaktionsgeflecht mit anderen lässt Biographie entstehen. Die Biographieforschung versucht, die Konzeption der inneren Struktur von AkteurInnen und der Modi und Folgen ihres handelnden Umgangs mit äußeren Strukturen zu entschlüsseln.
Das Subjekt gestaltet seine Biographie, indem es den subjektiven Möglichkeiten, Vorstellungen und strukturellen Gelegenheiten entsprechend handelt (vgl. Heinz,2000). Doch wie lässt sich Handeln erklären?
Hieronder een lange academische tekst over biografie.
Die ‚Individualisierung’ des Lebenslaufs
Die These der Individualisierung des Lebenslaufs, die häufig zur Erklärung von Mo-dernisierungsprozessen im weiblichen Lebenszusammenhang herangezogen wird (vgl. Beck, 1986; Beck-Gernsheim, 1994; Kohli, 1989) und einen wichtigen Ausgangspunkt der neueren Biographieforschung darstellt, thematisiert die Bedeutungindividuellen Handelns für biographische Prozesse und nimmt die Konsequenzen der Auflösung von Orientierungsmustern und der Zunahme von (berufs-)biographischer Unsicherheit in den Blick.
Die gegen Ende des 20. Jahrhunderts formulierten soziologischen Gegenwartsdiagnosen gehen davon aus, dass sich spät-, hoch- oder post-moderne Gesellschaften durch Prozesse der Enttraditionalisierung auszeichnen (vgl. Meuser, 1998). Diese beziehen sich zentral auf die wachsende individuelle Wahl- und Entscheidungsfreiheit, den hohen Stellenwert von Eigenständigkeit in der Lebensgestaltung und die Pluralisierung der Lebensformen. Altersnormen und lebens-laufbezogene Vorgaben werden gleichzeitig flexibler. Die gesellschaftlich-historischen Prozesse sind dadurch gekennzeichnet, dass „Individuen sich immer mehr aus bindenden Normen und kollektiven Bezügen, aus sozialen Klassenbindungen und Geschlechtslagen herauslösen“ (Beck, 1986: 116).
Die Ablösung industriegesellschaftlicher Lebensformen durch vom Einzelnen bewusst zu wählende Biographien wird unter dem Begriff der ‚Individualisierung’ zusammengefasst. Diezinger (1991: 18) versteht darunter „den aktuellen Freisetzungsprozess, der dazu führt, dass traditionelle Normen und Sozialformen weniger prägend auf Lebensbedingungen und Verhalten von Individuen einwirken und sich der Spielraum für individuelle Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb gesellschaftlicher Strukturen erweitert“.
Die Biographie des Menschen wird aus traditionalen Vorgaben und Sicherheiten, aus fremden Kontrollen und überregionalen Sittengesetzen herausgelöst, offen, entscheidungsabhängig und als Aufgabe in das Handeln des Einzelnen gelegt. Die Anteile der prinzipiell entscheidungsverschlossenen Lebensmöglichkeiten nehmen ab, und die Anteile der entscheidungsoffenen, selbst herzustellenden Biographie nehmen zu. „Normalbiographie verwandelt sich in Wahlbiographie – mit allen Zwängen und Unwägbarkeiten, die dadurch eingetauscht werden“ (Beck & Beck-Gernsheim, 1990: 12 f.).
Gleichzeitig können der steigende biographische Entscheidungszwang(vgl. Burkart, 1993: 159 f.) und die ‚Tyrannei der Wahl’ (vgl. Bellah, Madsen, Sulli-van, Swidler & Tipton, 1987) biographische Unsicherheit (vgl. Wohlrab-Sahr, 1993) und Instabilität auslösen; strukturelle Ungleichheiten werden zunehmend der und dem Einzelnen als Folge von Entscheidungen zugerechnet. Da der Bezug auf Traditionen in immer mehr Bereichen der sozialen Welt immer weniger Handlungssicherheit bietet, sind Individualisierungsprozesse für die Subjekte häufig mit gravierenden Unsicherheiten und Ambivalenzen verbunden.
Die Individualisierungsthese betont die für den Lebenslauf zu treffenden Entscheidungen (vgl. Beck, 1986) sowie „Selbstkontrolle, Selbstverantwortung und Selbststeuerung“ (Wohlrab-Sahr, 1997: 28). Lebensplanung wird zur individuellen Anforderung. Es gibt kaum eine soziologische Analyse, die so umstritten ist wie die Individualisierungsthese (vgl. Beck, 1986; Beck & Beck-Gernsheim, 1994), aber auch so großflächig und breit in den Sozialwissenschaften, in der Frauen- und Geschlechterforschung sowie in der Öffentlichkeit aufgegriffen wurde. Die Kritik bezieht sich zum einen auf die Reichweite und Generalisierungsfähigkeit von Individualisierung. Individualisierung sei kein universelles Phänomen, das für alle Milieus und gesellschaftlichen Gruppen gelte, sondern weise vor allem in individualisierten Milieus und bei privilegierten Gruppen große Erklärungskraft auf; es sei folglich eher von einer Segmentierung der Gesellschaft auszugehen als von einer universalen Individualisierung (vgl. Burkart, 1994: 189).
Zum anderen enthalte die Individualisierungsthese auch ideologische Anteile; so hat Bourdieu (1990) auf die ‚biographische Illusion’ über die Steuerbarkeit des eigenen Lebens hingewiesen, die so nicht gegeben sei. Bourdieu sieht in der Vorstellung von Biographie als einer kohärenten Erzählung mit einer bedeutungsvollen und gerichteten Abfolge von Ereignissen eine triviale Vorstellung von Existenz. Sie sei „eine jener vertrauten Alltagsvorstellungen, die sich in das wissenschaftliche Universum hineingeschmuggelt haben“ (ebenda: 201). Jedoch sind auch in der Vorstellung der Individualisierungsanhänger Lebensläufe und Erfahrungen immer weniger zu einer glatten Lebensgeschichte zusammenzufügen, und auch Individuen sind sich zunehmend der „Asynchronität und Desintegration ihrer Lebensläufe“ bewusst (Schimank, 2000: 47). Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Annahme, dass Individualisierung zueiner Rationalisierung biographischen Handelns als Trend der Moderne führe. So gewännen die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, das Abwägen und Gegenüberstellen unterschiedlicher biographischer Möglichkeiten und ihrer Folgen sowie Prozesse der Lebensplanung zunehmend an Bedeutung (vgl. Beck, 1986; Berger, 1994). Die gesellschaftlichen Uneindeutigkeiten verlangten ein hohes Maß an individueller Orientierungs- und Entscheidungskompetenz. Es lässt sich jedoch bezweifeln, ob Personen bei wichtigen Entscheidungen immer rational abwägend und ‚entscheidend’ handeln. Zudem bestand selbst in traditionalen Gesellschaften ein hohes Ausmaß individueller Entscheidungsautonomie, wie Burkart (1994) am Beispiel der Geburtenkontrolle belegt: Der Übergang von der ‚social control’ zur ‚individual rational choice’, so Burkart, habe nicht so unilinear stattgefunden, wie von vielen IndividualisierungsvertreterInnen angenommen. Gerade unter einer Perspektive des Wandels hängt es zudem vom Ausgangspunkt ab, ob Handlungsspielräume tatsächlich größer oder nur anders geworden sind. In diesem Bereich fehlen fundierte Analysen (vgl. Burkart, 1994; Born, Krüger & Lorenz-Meyer, 1996). In eine andere Richtung geht der Vorwurf, dass Individualisierungstheorien strukturelle Aspekte, das heißt auch das Geschlecht, vernachlässigen: „Die Individualisierungsthese allerdings verfehlt im Gegenzug dann ihre gesellschaftstheoretische Relevanz, wenn die Bedeutung von Institutionen als normative Orientierungsrahmen einerseits und organisatorische verfestigte Handlungsschablone andererseits, unter der Betonung von Subjektivität, Eigenverantwortlichkeit und Selbstmanagement verschwindet“ (Born, Krüger & Lorenz-Meyer, 1996: 20). Individualisierungsprozesse sind nicht zwangsläufig mit der Auflösung sozialer Strukturen verbunden. Auch wenn Reichweite und Generalisierungsfähigkeit der Individualisierungsthese umstritten sind, handelt es sich um ein gesellschaftlich und sozialwissenschaftlich hoch wirksames Deutungsmuster der „Selbstkontrolle, Selbstverantwortung und Selbststeuerung“ (Wohlrab-Sahr, 1997: 28), das letztlich alle gesellschaftlichen Schichten – in unterschiedlicher Weise und Intensität – erfasst hat und auch von hoher Bedeutung ist (vgl. Beck & Beck-Gernsheim, 1994). Trotz berechtigter Einwände, dass für Frauen Individualisierung eine andere Qualität habe als für Männer, hat die Individualisierungstheorie einen Beitrag zum Verständnis gesellschaftlichen Wandels geleistet und veränderte Anforderungen an Prozesse biographischen Handelns verdeutlicht. Nicht zuletzt ist der Gesichtspunkt der Individualisierungwichtig, um zu erkennen, dass und wie Anforderungen an biografisches Handeln funktionieren und dass es keine normierten Antworten der Subjekte auf diese Anforderungen mehr geben kann.
Biographische Perspektivität und biographisches Handeln
Die Auflösung biographischer Vorgaben und Lebenslaufmodelle macht eine aktive Gestaltung von Gegenwart und Zukunft erforderlich. Aus der ‚Verindividualisierung des Lebenslaufs’ ergibt sich die Notwendigkeit und gleichzeitig normative Erwartung, flexible und individualisierte Identitäten zu entwickeln (vgl. Habermas &Bluck, 2000: 753). Menschen stellen sich selbst nicht als Mitglied einer Gesellschaft oder als Rollenträger dar, sondern sind damit beschäftigt, sich als Individuen von anderen abzuheben (vgl. Fuchs-Heinritz, 1998: 17 f.). In Abgrenzung zu älteren Sozialisationstheorien, die von verinnerlichten Normen für biographisches Handeln ausgehen, geht es „nicht mehr allein um die Abarbeitung gesellschaftlich normierter Lebensereignisse und die Übernahme alters- und geschlechtsentsprechender Rollenerwartungen zur richtigen Zeit, sondern zunehmend um die biographisch stimmige Abfolge und Kombination auch neuartiger Rollenkonfigurationen“ (Heinz, 2000: 167). So entstehen nach Heinz „Konturen neuer Lebenslaufmuster“ (ebenda). Dass der Institutionalisierung des Lebenslaufs in modernen Gesellschaften eine Zu-nahme autobiographischer (und biographischer) Thematisierung gegenüber steht, scheint zunächst ein Widerspruch zu sein. Dabei kann die biographische Thematisie-rung zur persönlichen Konsistenz – also Herstellung von individuellem Sinn und Begründung von Handlungen, Planungen und Formulieren von Ansprüchen – beitragen. In der Biographie gehen Struktur und Individualität eine Synthese ein, denn aus der Binnensicht des Subjekts „haben wir ja als Biographieträger durchaus das Gefühl, ‚Organisatoren’ unseres Lebens zu sein“ (Alheit, 1992: 24). Biographische Selbstthematisierung ist nach Kohli die Fähigkeit, in der Biographie eine persönliche Konsistenz herzustellen und aufrechtzuerhalten. Die soziologische Biographieforschung weist auf diese Bedeutung der ‚biographischen Identität und Selbstthematisierung’ (vgl. Hoerning, 2000) sowie auf individuelle Kontinuitätsbedürfnisse hin (vgl. Behrens & Rabe-Kleberg, 2000). Sie fasst soziale Realität als „unaufhörlichen Prozess des Abstimmens, Anpassens, Verhandelns und Entscheidens auf“(ebenda: 103). Behrens & Rabe-Kleberg sehen eine konsistente Biographie nicht unbedingt als fundamentales Grundbedürfnis an, sondern als etwas, das von Gate-keeping-Instanzen verlangt wird und zu rechtfertigen ist. Unterschiedliche Gatekeeping-Instanzen können dabei auch unterschiedliche Darstellungen des Lebensverlaufs erfordern (ebenda). Biographische Thematisierung (vgl. Kohli, 1994) kann zur persönlichen Konsistenz– also zur Herstellung von individuellem Sinn und zur Begründung von Handlungen, Planungen und Formulieren von Ansprüchen – beitragen. Nach Alheit & Dausien (2000) verbindet alle Menschen das „erstaunliche und in aller Regel kontrafaktische Grundgefühl, dass wir Akteure und Planer unserer Biographie sind und eine gewisse unseres ‚Selbst-Seins’ immer wieder herstellen können“ (ebenda: 274). Biographische Konstruktionen sind dabei kein im Sinn von Planungsprozessen stra-tegisches, sondern intuitiv verfügbares Wissen unserer Biographie. Biographische Erzählungen präsentieren eine Vielzahl von Geschichten, sie teilen Perspektiven und Interpretationen mit und bündeln schließlich eine Gesamtgestalt, die mehr intuitiv als rational auf der sehr tiefen Bewusstseinsebene, die am Konstruieren von Lebensgeschichte beteiligt ist, zu erfassen ist (vgl. Straub, 2000). Die biographische Selbst-thematisierung findet dabei immer in der Gegenwart, aus dem Blickwinkel der Gegenwart statt, d. h. es gibt nicht die eine Biographie, sondern nur unterschiedliche und sich verändernde Fokussierungen, die trotzdem, jede für sich, ‚wahr’ sind. Dies bedeutet auch, dass biographische Konstruktionen auf der Basis der gemachten Erfahrungen immer wieder anders sein werden. Biographische Sinnstrukturen werden mit unterschiedlichsten Begrifflichkeiten belegt, auch wenn es immer um das Verständnis von biographischer Konstruktion als verstecktem Sinn von Handlungen geht (vgl. Hoerning, 2000: 9). Schütz (1981) sieht in der biographischen Artikulation und Strukturierung von Erfahrungen eine Möglichkeit, das eigene Leben zu ordnen, als Einheit zu verstehen und einen roten Faden durch Erfahrungen zu legen. Biographien erhalten so eine identitätsstiftende Funktion. Die Herstellung von biographischer Identität als Kennzeichen heutiger Gesellschaften (‚Individualisierung’) strukturiert individuelle Erfahrungen und stellt Relevanz und persönlichen Sinn im eigenen Leben her. Sie äußert sich in der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit als Herstellenkönnen einer eigenen Wirklichkeit. Leben ausgedrückt in einer Biographie hat eine eigene und eigengestaltete Struktur. Individualität entsteht vor allem dort, wo es Menschen gelingt, sich zu verwurzeln und zu verorten. Dazu tragen biographische Sinnhorizonte bei. „Lebenslaufprogramme und Entwürfe, die als normalbiographisch galten, weichen biographischen Projekten, die Individuen im Verlauf ihres Lebens durch vielfältige Kombinationen und Abfolgen der Beteiligung an gesellschaftlichen Institutionen und privaten Netz-werken gestalten“ (Heinz, 2000: 165). Die individuelle Lebensführung und -gestaltung wird zu einem ‚Projekt’, das zu organisieren ist (vgl. auch Alheit, 1992; Alheit, Dausien, Hanses & Scheuermann, 1992; Dausien, 2001; Hoerning, 2000; Rerrich, 1999b), „genauer, zu einer Serie von Projekten“ (Berger, 1994: 95). Die Vorstellungeines Lebensentwurfes am Ende der Adoleszenz, wie sie Erikson noch formuliert, die dem Individuum eine Vorstellung darüber vermittelt, wie sein weiteres Leben auszu-sehen hat, trägt nicht mehr. An die Stelle des biographischen Lebensentwurfs oder Lebensplans als „grundlegendem Kontext, in dem das Wissen um die Gesellschaft im Bewusstsein des Individuums organisiert ist“ (Berger & Kellner, 1973: 65), sind „Zusammensetzen und wieder trennen, die alltägliche Erzeugung von Flickwerk“(Nowotny, 1995: 99) getreten. Es herrscht inzwischen Einigkeit darüber, dass die Persönlichkeitsentwicklung nicht mit der Phase der Kindheit und Jugend beendet ist, sondern ein Leben lang, in allen Altersphasen und Rollen stattfindet (vgl. Geulen, 2000; Habermas & Bluck, 2000; Hoerning, 2000). Aus der Perspektive der Biographieforschung ist also nicht (mehr) von einem Lebensentwurf auszugehen, der als ‚Master Plan’ entworfen wird, sondern von ‚Projekten’, die sich prozessual aus den jeweils vorhergehenden Erfahrungen entwickeln (vgl. Geulen, 2000: 190). Die Lebensprojekte entwickeln sich in einem biographischen Prozess, der niemals als abgeschlossen gelten kann. Für biographische Prozesse und biographisches Handeln ist die Möglichkeit, Zukunft zu entwerfen sowie Perspektiven und Alternativen zu entwickeln, von großer Bedeutung (vgl. Hanses, 1992: 92). Biographische Konstruktionen sind der aktuellen Biographieforschung folgend durch biographischen Sinn und Relevanz des individuellen Handelns, Prozesshaftigkeit und Bedeutung von Erfahrungen sowie Perspektivität und einen Erwartungshorizont gekennzeichnet. Das, was als Möglichkeit oder Unmöglichkeit von der Zukunft auf uns wirkt, hat entscheidende Bedeutung für die Ausgestaltung von biographischen Prozessen. Das Individuum (re-)interpretiert die Vergangenheit und füllt die Zukunft in der Gegenwart konkretisierend aus; so konstruiert es wesentlich seine Perspektiven. „Lebenserfahrungen prägen eine Biographie ebenso wie soziale Herkunft, Schulbildung, Geschlecht, Hautfarbe und nationale Herkunft“ (Heinz, 2000: 169). Sie werden im Lauf des Lebens erworben und lagern sich als „biographisches Wissen“ (ebenda) ab, das als Kapital für aktuelle und künftige biographische Konstruktionen gilt. Das Individuum erfährt sich als aus vergangenem Handeln und an zukünftigen Projekten orientiertes Ensemble. Wenn die Zeitperspektive verschwimmt, verschwimmt auch die persönliche Zukunft. Nach Kraus (1996) geht es dabei weniger darum, die Zukunft zu erreichen, sondern sie zu denken und sich zu ihr zu verhalten. In Anlehnung an Kraus (1996) verstehe ich unter Projekten die dynamisch-strategische Beziehung von Sinnhorizonten und Zukunft. Sie verweisen „immer auch auf das Ausgeschlossene, das, was mit seiner Formulierung negiert, ignoriert und abgeschnitten wird“ (ebenda: 184). Leccardi (1998: 202) hebt in diesem Zusammenhangden Charakter der Zukunftsplanung als soziale Konstruktion und nicht nur als geistigen Entwurf hervor. Sie möchte mit diesem Hinweis Zukunftsplanungen nicht psychologisieren, sondern in ihren sozialen Kontext einbetten. Dieser Aspekt sollte besonders betont werden, denn biographische Konstruktionen sind soziale Konstruktionen. Nicht die und der Einzelne, sondern das Interaktionsgeflecht mit anderen lässt Biographie entstehen. Die Biographieforschung versucht, die Konzeption der inneren Struktur von AkteurInnen und der Modi und Folgen ihres handelnden Umgangs mit äußeren Strukturen zu entschlüsseln (vgl. Kohli, 1991: 303). Institutionalisierte Ablaufmuster prägen die persönliche Biographie; der Rahmen, in dem sich unsere je individuelle Biographie entfalten kann, ist nicht beliebig weit (vgl. Alheit, 1992: 27). Trotz solcher Einschränkungen verliert das Subjekt selten das Gefühl eigener Planungsautonomie, weil es das Wissen darüber biographisch verarbeitet: Zum einen werden Entscheidungen über Handlungs- und Planungsalternativen von externen Prozessoren, Gewohnheiten oder Traditionen übernommen, sodass das Subjekt in besonders wichtigen Situationen bewusste Entscheidungen treffen kann. Zum anderen werden biographische Wissensbestände, die kontinuierlich benötigt werden, zu „latenten oder präskriptiven Wissensformen und verschmelzen mit den Hintergrundstrukturen seiner Erfahrungen“ (ebenda: 27 f.). In diesem Zusammenhang ist die beschriebene ‚aktive Gestaltung’ von Biographie (vgl. Geulen, 2000; Giddens, 1995) hervorzuheben: Bedingungen wirken nicht unidirektional auf Persönlichkeiten und ihre Entwicklung, sondern in Interaktion mit dem Subjekt. An die Stelle von traditionellen Lebenslagen und traditioneller Lebensführung ist nicht nichts getreten, sondern andere Arten der Lebensgestaltung und Lebensführung sowie individuelle Konstruktionen: „Diese setzen aber das Individuum als Akteur und Inszenator seiner Biographie, seiner Identität, seiner sozialen Netzwerke, Bindungen, Überzeugungen voraus und ‚erzeu-gen’ es zugleich“ (Beck & Beck-Gernsheim, 1993: 185 f.). „Subjekte zeigen selbst initiierte, das heißt nicht aus den aktuellen situativen Bedingungen zureichend erklärbare Aktivitäten“ (Geulen, 2000: 188; vgl. Leu & Krappmann, 1999). Sie haben ein Bewusstsein, das die Welt intern repräsentiert und antizipiert sowie reflexiv ist. Das Subjekt gestaltet seine Biographie, indem es den subjektiven Möglichkeiten, Vorstellungen und strukturellen Gelegenheiten entsprechend handelt (vgl. Heinz,2000). Doch wie lässt sich Handeln erklären? Während rationale Entscheidungstheorien (‚Rational Choice Theory’) soziales Handeln dadurch erklären, dass Individuen ihren Präferenzen entsprechend nützliche Optionen auswählen, also zweckrational handeln, geht die Biographieforschung (Heinz, 2000: 169) davon aus, dass individuelle Entscheidungen und Handlungen das Ergebnis von sozialen Prozessen und (So-zialisations-)Erfahrungen sind und Präferenzen nicht Ursachen, sondern Begleiterscheinungen von biographischen Entscheidungen darstellen. Vor dem Hintergrund der Individualisierungsprozesse wird nach Erklärungen gesucht, warum Menschen Chancen aufgreifen oder auch nicht, warum sie Entscheidungen treffen und Handlungen ausführen, die von außen ‚unlogisch’ erscheinen. (vgl. Hoerning, 2000). Um das Handeln von Personen zu verstehen, muss die je subjektive Perspektive der untersuchten Personen bzw. ihre Vorstellungswelten berücksichtigt werden (vgl. Fuchs-Heinritz, 1998: 3). Biographische Entscheidungen mit nachhaltiger Bedeutung für den Lebenslauf bzw. wichtige ‚Lebensentscheidungen’ werden sie nicht ‚ad hoc’, sondern in einem biographischen Horizont getroffen (vgl. Heinz, 2000: 170). Die von Burkart (1994) so genannten ‚big decisions’, also die großen biographischen Entscheidungen, können niemals dem rationalen Idealtypus entsprechen, dem auch der biographische Aspekt fehlt, der in die Vergangenheit gerichtet ist. Sie sind von Alltagsentscheidungen, die ständig erforderlich sind, jedoch das spätere Leben nicht beeinflussen, zu unterscheiden (vgl. Burkart, 1994). Aber auch diese sind immer eingebunden in individuelle Sinnstrukturen. In Anlehnung an Bergson und Husserl definiert Burkart (1994: 78) Entscheidungen als „Bewusstseinsakte, die in den Erfahrungsstrom des Lebens ein-gebettet sind und eng mit der Identität des Subjekts verbunden sind. Entscheidend ist stets der unvollkommene Versuch, Identität und Optionen zur Deckung zu bringen.“ Burkart geht davon aus, dass sich Akteure nicht zwischen definitiven und gleich bleibenden Alternativen entscheiden, sondern dass sie durch einzelne Schritte im individuellen Entscheidungsprozess auch sich selbst verändern. Der „biographische Akteur setzt sich mit den Handlungsoptionen nicht nur auf der Grundlage subjektiver Nützlichkeitserwägungen und sozialer Normen auseinander, sondern bezieht diese vielmehr auf seine biographischen Wissensbestände und Selbstverpflichtungen“(ebenda: 81). Entscheidungen würden entsprechend meist unter Bedingungen von Ungewissheit über die Wirkung der gewählten Alternativen getroffen. Subjekte zeigen zudem „selbst initiierte, das heißt nicht aus den aktuellen situativen Bedingungen zureichend erklärbare Aktivitäten. Sie haben ein Bewusstsein, das die Welt intern repräsentiert und weitgehend intentional im Sinne einer antizipatorischen Orientierung des eigenen Handelns ist“ (Geulen, 2000: 205). „Optionen im Lebensverlauf werden nicht nach kurzfristigen Kosten-Nutzen-Kalkulationen, sondern nach biographischen Relevanzkriterien geordnet“ (Heinz, 2000: 177). Entsprechend können auch Entscheidungen, die an affektiven, normativen oder moralischen Maßstäben orientiert sind, vernünftig sein. Entscheidungen werden also in Übereinstimmung mit der individuellen Lebensgeschichte und dem Selbstbild getroffen. Das schließt zahlreiche Optionen aus, für die man sich prinzipiell entscheiden könnte – und die vielleicht sogar ‚kostengünstiger’ wären (vgl. Burkart, 1994: 75). Wenn Entscheidungen nicht ad hoc getroffen werden, sondern in ‚biographische Horizonte’ und individuelle Sinnstrukturen eingebunden sind, sind sie nicht immer in-tentional, bewusst und gewollt im Sinn von biographischen Plänen (vgl. Heinz, 2000) und nicht ausschließlich als strategische und rationale Vorgehensweisen zuinterpretieren. „Im Horizont von Lebensentscheidungen oder Übergangsoptionen sind die biographische Stimmigkeit und die soziale Einbettung des ‚gewählten’ Wegsvernünftiger als die nüchterne Ertragskalkulation“ (ebenda: 169). Auch ein ‚spontaner’ Entschluss ist in subjektive Sinnstrukturen eingebunden, die als Richtschnur für biographisch vernünftiges und subjektiv konsistentes Handeln fungieren. Daraus folgt nach Heinz, dass es bei Lebensentscheidungen keine sichere Prognose geben kann über die Folgen von Handlungsalternativen auf das spätere Leben. „Erst wenn die Auswirkungen des Handelns, die Folgen der Entscheidung sich entfalten, können daraus Konsequenzen gezogen werden“ (ebenda: 171). So wird auch deutlich, dass Planen und Vorausdenken zwar wichtige Größen sind, jedoch eben nicht die einzigen. Insofern ist Planungskompetenz, gekennzeichnet durch Wissen, Kenntnis eigener Stärken und Schwächen, Fähigkeiten und Selbstkontrolle (vgl. Clausen, 1993: 19 f.), zwar eine wichtige Eigenschaft, die Individuen dabei unterstützen kann, die für sie ‚richtigen’ Entscheidungen zu treffen, aber nur unter zweckrationalen Ge-sichtspunkten. Im Zusammenhang von biographischem Handeln erscheint Handlungskompetenz noch grundlegender als Planungskompetenz. Nach Grundmann (2000) ist Handlungskompetenz die individuelle Fähigkeit, sich mit sozial erwarteten Handlungs-strukturen zu identifizieren und diese gleichzeitig durch das Einbringen der eigenen Handlungsperspektive aktiv mitzugestalten. Diesem Begriff der Handlungskompetenz folgend wird deutlich, dass biographisches Handeln nicht immer an Entscheidungen gebunden ist. Biographisches Handeln ist nicht nur eine Abfolge (rationaler) Entscheidungen (vgl. Heinz, 2000), denn Menschen handeln auch ohne zu entscheiden: affektiv, spontan-unreflektiert, konventionell, habituell, routinemäßig, regelgeleitet vor dem Hintergrund biographischen Wissens. Handlungen, die keiner Entscheidung im engeren Sinn bedürfen, sind nach Burkart (1994: 86) zwangsläufige und Routine-Handlungen, affektive und unreflektierte normorientierte Handlungen, aber auch pathologische und Zwangshandlungen. Auch für Luhmann (1982) liegen bei Routine- und normorientierten Handlungen keine Entscheidungen vor.20Ich gebe deshalb dem Begriff des ‚biographischen Handelns’ Vorrang vor dem Beg-riff der ‚biographischen Entscheidungen’, denn biographisches Handeln muss nicht immer das Ergebnis von Entscheidungen sein. Handeln verweist darauf, dass AkteurInnen in Strukturen und Geschlechterverhältnisse eingebunden sind, die sie täglich und lebensgeschichtlich reproduzieren bzw. modifizieren oder transformieren. Biographisch bedeutet, dass Handeln sich auf biographische Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte bezieht und verflochten ist mit biographischen Konstruktionen. Handeln ist unter dieser biographisch-subjektiven Perspektive immer vernünftig und konsistent. Die Abhängigkeit biographischen Handelns von Gelegenheitsstrukturen und sozialen Kontexten ist Thema des folgenden Kapitels. 2.3 Gelegenheitsstrukturen und soziale Kontexte biographischen Handelns Biographisches Handeln lässt sich nicht alleine auf kulturelle Kontexte, gesellschaftliche Rahmenbedingungen, institutionelle Gatekeeper und situative Umstände, aber auch nicht ausschließlich auf biographische Konstruktionen zurückführen. „Wenn wir Biographien besser verstehen wollen, dann geht es darum, den subjektiv gemeinten Sinn von Wahlhandlungen bezogen auf Gelegenheitsstrukturen und Ressourcen zu rekonstruieren“ (Heinz, 2000: 183). Gelegenheitsstrukturen sind gesellschaftliche und soziale Rahmenbedingungen, die Chancen und Gelegenheiten beeinflussen. Sie erweitern die Handlungsspielräume von Individuen oder schränken sie Luhmann (1982) sieht zwei Motive als bedeutsam für das Zustandekommen von Handlungen an:Weil-Motive, die sich auf den Hintergrund der Biographie der Person beziehen, und Um-zu-Mo-tive, die die Umsetzung des Entwurfs in eine Intention ausdrücken. Sie beziehen sich auf materielle und gesellschaftliche Strukturen und auf soziale Kontexte. Je nach Kontext wirken sie als Ressourcen oder Barrieren, ermöglichen, erschweren oder verhindern ein bestimmtes Lebensmuster ebenso wie die Umset-zung von Projekten. Gelegenheitsstrukturen können entsprechend im Geschlechter-verhältnis, im soziokulturellen Milieu, im Bildungsbereich, aber auch im regionalen Umfeld zu finden sein. Wenn Bourdieu (1978) darauf hinweist, dass Biographie sich als Platzierung und Deplatzierung im sozialen Raum definiert, die nur adäquat zuanalysieren sei, wenn auch die Rahmungen des Möglichkeitsraums, in dem sich Individuen bewegen, erfasst werden, meint er genau dieses. Die, wie Alheit (1992: 30) sie nennt, ‚Hintergrundidee’ von uns selbst haben wir nicht trotz, sondern wegen der strukturellen Begrenzungen unserer sozialen und ethnischen Herkunft, unseres Geschlechts und der Zeit. Zwischen Struktur und Subjekt entstehen Lebenskonstruktionen, die auch versteckte Referenzen an die strukturellen Bedingungen darstellen. In Abgrenzung von psychologischen Ansätzen zu universellen Entwicklungsstufen (wie bei Piaget oder Erikson), Altersnormen und Entwicklungsaufgaben legt die soziologische Biographieforschung das Augenmerk auf die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und persönlichen Verarbeitungs- und Entwicklungsprozessen. Burkart (1994) geht davon aus, dass Entscheidungen und Handlungen durch lebensgeschichtliche Bahnen in der Grundstruktur immer auch sozial vorstrukturiert sind,22„nicht nur im Sinne von Optionseinschränkungen, sondern auch im Sinne der Unmöglichkeit, Optionen abstrakt zu vergleichen“ (ebenda: 92). Durch ‚aktive Strukturierung’ gestaltet das Subjekt aber gleichzeitig, indem es die strukturellen Vorgaben modifiziert. „Die Struktur setzt sich sozusagen erst durch die Aktivitäten des Subjekts durch“(ebenda). Das Konzept des ‚biographischen Akteurs’ verbindet die individuelle Lebensgeschichte und Lebensperspektive mit wahrgenommenen Optionen und Kontexten (vgl. Geulen, 2000). Ob Personen ihre Ziele realisieren können, hängt außer von persönlichen Ressourcen von äußeren Bedingungen ab: inwiefern sie günstige Gelegenheitsstrukturen in ihrer unmittelbaren Umgebung vorfinden und über ausreichende soziale Ressourcen ver-fügen können. Die Chancen für biographisches Handeln sind ungleich vergeben. „Im Unterschied zur emphatischen Individualisierungsthese ist evident, dass trotz des Bedeutungsgewinns des individuellen Handelns bei der Gestaltung des Lebenslaufes – also von biographischem Handeln – die Strukturen der sozialen Ungleichheit Lebenschancen und damit auch die Abfolge und Dauer von Sozialisationsprozessen differenzieren“ (Heinz, 2000: 166). Heinz geht davon aus, dass die Kompetenzen zur Biographiegestaltung auf die Strukturierung von biographischen Entwicklungschan-cen im Lebensverlauf durch gesellschaftliche Ungleichheit verweisen. Soziale Herkunft, Schulabschluss und Ausbildung wirken seiner Meinung nach jedoch nicht als Determinanten, sondern als biographisch unterschiedlich einsetzbare Ressourcen für Handeln. Während häufig die Frage nach der Wirkung von Variablen wie Herkunft, Geschlecht, Bildung und Familienstatus sowie der Gelegenheitsstrukturen auf den Lebenslauf im Vordergrund steht, geht es unter dieser Perspektive darum, „wie sich die Individuen mit ihren Erfahrungen, Ansprüchen und Ressourcen auf die ungleich verteilten Optionen und Handlungsspielräume im Lebensverlauf beziehen“ (Heinz, 2000: 166). Soziale Einflüsse sind nicht nur generell von Bedeutung für die Biographien von Individuen, hinzukommt, dass sich gesellschaftsstrukturelle Muster in unterschiedlichen Biographien auch unterschiedlich auswirken (vgl. Schimank, 2000). Der subjektive Sinn von Handlungen ist deshalb auch bezogen auf Gelegenheitsstrukturen zurekonstruieren. Gelegenheitsstrukturen verfestigen auch Muster im Verhältnis der Geschlechter. Die subjektive Bewertung der Gelegenheitsstrukturen für die Einschät-zung der eigenen Chancen ist für biographisches Handeln von hoher Bedeutung. Die „Handlungsspielräume werden nicht nur durch die jeweiligen Kontextbedingungen strukturiert – sie werden auch durch die Lebensplanung und das biographische Han-deln selbst hergestellt, erweitert oder verengt“ (Geissler & Oechsle, 1994: 165). Obwohl sich für beide Geschlechter geschlechtstypisch standardisierte Lebenslauf-muster zunehmend auflösen, Leitbilder und Deutungsmuster in den letzten Jahr-zehnten widersprüchlicher geworden sind, verlängerte Bildungs- und Ausbildungs-zeiten, ungewisse Übergänge in den Beruf, häufigere Arbeitsplatzwechsel und Mobilität, neue Formen privater Lebensführung und veränderte Muster von Familienbildungsprozessen zur Erosion traditioneller Lebenslaufmuster führen, bleibt Geschlecht eine Grunddimension sozialer Strukturierung und auch des Lebenslaufs und der Biographie. „Alle biographischen Erfahrungen und Erwartungen sind – auf je individuelle Weise – durch ‚gender’ codiert“ (Born, Krüger & Lorenz-Meyer, 1996: 25 f.). Sollen die Unterschiede jedoch genauer bestimmt werden, verschwimmen die Grenzen: Denn nicht alle Männer passen z. B. in das Schema der berufsdominanten ‚Normalbiographie’ (vgl. z. B. Alheit, 1998; Dausien, 2001; Fthenakis, 1999). Indem Frauen und Männer – je für sich und in Beziehung zueinander – ihre Lebens-geschichten narrativ rekapitulieren, rekonstruieren sie zugleich eine konkretes ‚Mo-dell’ für Frauen- bzw. Männerleben. So werden sie zu Konstrukteuren der eigenen Biographie. Diese Konstruktionsprozesse müssen „in ihrer konkret-empirischen Gestalt analysiert werden, anders existieren sie nicht“ (Dausien, 1996: 3). Der Logik der gesellschaftlichen Gestaltung und Überformung von biologischem Geschlecht folgend sind Geschlechterstrukturen nicht nur historisch entstanden, sondern werden „durch das Handeln der sozialen Subjekte ‚gemacht’, konstruiert und reproduziert“(Dölling & Krais, 1997: 8). Jede Interaktion nimmt Geschlecht als Grundkodierungauf, auch wenn wir glauben, von Geschlecht zu abstrahieren (vgl. Goffman, 1994: 105). Alheit & Dausien (2000) gehen davon aus, dass kein geschlechtsneutrales Biographiekonzept möglich ist und dass systematische Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Biographien bestehen (vgl. Dausien, 1992; 2001). Das Geschlechterverhältnis ist deshalb in seiner subjektiven und objektiven Ausprägungals ‚doing gender’ und Gelegenheitsstruktur zu berücksichtigen. Geschlechterdifferenz als Strukturkomponente biographischer Forschung (vgl. Dausien, 2000) stellt eine Weiterentwicklung feministischer Theorien zur sozialen Konstruktion von Ge-schlecht dar. Bisher wurde Geschlecht in der Biographieforschung allerdings kaum berücksichtigt. Vielfach wurden männliche Biographien untersucht oder dem Geschlecht wurde keine Bedeutung beigemessen.